NIGTHWAVE 2- MARRAUGHNS BEDIENSTETE

(NIGHTWAVE II)

(DER BUND VON TORN)

MARRAUGHNS BEDIENSTETE

VON WINFRIED BRAND

PROLOG

Marko Nightwave saß auf einer Kante der Strohmatratze und blickte nachdenklich auf die junge Frau hinunter, die unter einer Decke neben ihm auf dem Boden lag. Er wußte weder, wie sie hierhin gekommen war, noch was aus der Ratte geworden

war, die er eigentlich an dieser Stelle liegend erwartet hatte.

Das hellblonde Haar der Frau erinnerte ihn jedoch an das Fell der Ratte - es hatte den gleichen Farbton gehabt. Vielleicht gab es hier ja einen Zusammenhang.

Seit mehr als drei Stunden saß er nun schon da und betrachtete sie einfach

nur. Jetzt endlich begann sie sich zu regen. Ein leises, schlaftrunkenes Gähnen drang aus ihrem Mund, während sie sich langsam von der linken auf die rechte Seite wälzte.

Dann schlug sie die Augen auf.

"Hallo! Schon ausgeschlafen?" begrüßte er sie.

Die Frau fuhr herum und zuckte zusammen; dann schien sie ihn zu erkennen.

"Oh, hallo."

Vielleicht wirkte ihr Lächeln deshalb so anziehend auf ihn, weil ihr die Decke ein wenig heruntergerutscht war und mehr von ihrem Körper freigab, als er normalerweise

zu sehen bekam. Sie bemerkte seinen Blick und zog die Decke hastig

wieder nach oben.

"Wie kommst du hier herein? Und was machst du hier?"

Sie blickte ihn verwundert an.

"Du selbst hast mich doch mit zu dir genommen..."

Jetzt war es an ihm, ziemlich blöde aus der Wäsche zu schauen.

"Das kann doch gar nicht sein. Letzte Nacht war ich..."

Er unterbrach sich. Schließlich wollte er kein Geständnis seiner Taten der

letzten Nacht ablegen.

Dafür vollendete sie ruhig seinen Satz: "...im Haus von Mosser Al-Takim und hast den Stein von Tossac mitgenommen."

"Woher..."

"Ich war dabei..."

"Aber das einzige Wesen, das davon wissen kann, ist eine Ratte. Und du bist doch schließlich..."

Ein Gedanke kroch in ihm hoch. Sie konnte regelrecht sehen, wie es in ihm arbeitete.

"...oder doch? Warst du es?"

Sie nickte bedächtig.

Scharf sog er die Luft ein. Das war eine Information, die er erst einmal verarbeiten mußte.

"Ich glaube, du hast mir einiges zu erklären..."

Wieder nickte sie.

"Das habe ich befürchtet."

Sie überlegte einen kurzen Moment, dann sprach sie weiter:

"Also, es fing alles damit an, daß..."

"Moment", unterbrach er sie. "Das scheint ja eine etwas längere Geschichte zu werden."

Mit diesen Worten stand er auf, ging quer durch das Zimmer und ergriff einen versiegelten Bierkrug, der auf einem Tisch an der hinteren Wand stand. Er zerbrach das Siegel und nahm erst einmal einen tiefen Schluck aus dem Krug. Dann setzte er sich wieder auf die Kante der Strohmatratze und stellte den Krug

neben sich auf den Boden.

"So, jetzt kannst du anfangen..."

Tessa war glücklich. Sie hatte es geschafft, eine Anstellung bei dem großen

Magier Maraughn zu bekommen, eine Ehre, wie sie nur wenigen Menschen auf

Alos zuteil wurde. Sie würde ihm ein ganzes Jahr lang dienen und dabei auch das eine oder andere über seine Magie erfahren

und vielleicht sogar lernen können.

Jedes Jahr wählte Maraughn sich

eine Bedienstete aus, und diesmal war sie aus der langen Schlange der Bewerberinnen ausgesucht worden. Wenn sie nur daran dachte, wie die Hasserfüllten Blicke der anderen Bewerberinnen über sie hinweggegangen waren, als man sie

aus der Menge herausgezogen und zu Maraughn geführt hatte... Es war der größte Moment in ihrem Leben gewesen.

Und für sie war es eine einmalige Chance, mehr über die Magie zu erfahren, als all die anderen Bewerberinnen es jemals

in ihrem Leben für möglich halten würden.

Mit klopfendem Herzen stand sie nun

vor der Eingangstür seiner Villa mitten

im Herzen von Algo-Ra, der größten und wichtigsten Stadt auf den Kamai-Inseln.

Hier wurden die Magier ausgebildet,

für die diese Inseln berühmt waren, auch wenn sie keinerlei Kontakt zu den anderen Kontinenten dieser Ebene pflegten. Durch diese Isoliertheit, auf die die Inseln größten Wert legten, waren sie auch für die anderen Bewohner der Ebene

nicht mehr als nur eine Legende. Und wenn sich einmal ein Seefahrer in die Näheder Inseln wagte, wurde er mittels Illusionen von Seeungeheuern und anderen Unannehmlichkeiten schnell davon überzeugt, daß er dieses Gebiet möglichst auf kürzestem Wege verlassen sollte, wenn er wußte, was für ihn gut war.

Diese Abgeschiedenheit brauchten die Magier der Inseln, um sich ungestört ihren Forschungen widmen zu können - Forschungen, die dereinst die Welt verändern

sollten. Doch obwohl sie sich schon so viel Wissen angeeignet hatten,

so waren sie doch nicht davon zu überzeugen, dies mit den normalen Menschen zu teilen. Immer redeten sie davon, daß es für die Menschheit zu gefährlich wäre, sich mit den Göttern einzulassen.

Aber nun würde Tessa zumindest einen Teil dieser Geheimnisse kennen lernen.

Es konnte einfach nicht sein, daß sie in einem Haus mit dem größten Magier

der Inseln lebte und ihn bediente, ohne daß sie wenigstens Grundzüge der

Magie mitbekommen würde. Und tatsächlich war es ja auch so, daß viele der ehemaligen Bediensteten des Magiers inzwischen selbst zu angesehenen Magiern geworden waren.

Als sie die Hand hob, um den Klopfer an der Tür zu betätigen, schwang diese lautlos und wie von Geisterhand nach innen.

Sie fühlte sich etwas unwohl, als sie das Innere des Hauses betrat. Schweigend

stand sie in der großen Eingangshalle, die ihr bereits jetzt einen ersten

Eindruck von dem Luxus vermittelte, in dem der Magier lebte.

"Ah, ich habe dich schon erwartet, Tessa!"

Sie zuckte leicht zusammen, als sie die Stimme vernahm, die aus der Tür zu

ihrer Rechten drang.

"Komm ruhig näher."

Zögernd näherte sie sich der Tür und betrat schließlich den Raum, der dahinter

lag. Ihr Augen schweiften kurz durch das Zimmer, das anscheinend das Studierzimmer

des Magiers war, denn an dreien der vier Wände reihten sich Bücherregale

an Bücherregale - eine schier unfaßbare Menge Wissen mußte in diesen Büchern stecken. Kurz fragte sie sich, ob Maraughn denn auch alle diese Werke gelesen hatte; dann verwarf sie diesen Gedanken wieder.

An der vierten Wand schließlich stand rechts eine kompliziert aussehende

Versuchsanordnung und links ein großer Sessel, in dem der Magier selbst Platz genommen hatte. Neben dem Sessel befand sich ein kleines Tischchen, auf welches

Maraughn das Buch legte, in dem er bis zu ihrem Eintreten gelesen hatte.

"Ich bin erfreut, dich zu sehen."

Tessa errötete ein wenig und blickte verlegen zu Boden.

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite, verehrter Meister."

Maraughn bemerkte ihre Verlegenheit und lachte kurz. Als sie aufblickte, sah

sie immer noch ein Lächeln um die Lippen des 50jährigen spielen. Ein Blick in seine Augen zeigte ihr jedoch, daß der Magier andererseits auch hart durchgreifen konnte, wenn ihm etwas nicht paßte. Aber dieser Eindruck verschwand genauso schnell, wie er entstanden war.

"Ich glaube, es ist besser, wenn mein Sohn dir zuerst einmal dein Zimmer zeigt und dich dann heute Nachmittag ein wenig im Haus herumführt, damit du hier alles kennen lernst."

Bei diesen Worten kam auch schon ein junger Mann durch die Tür herein gelaufen.

"Du hast mich gerufen, Vater?"

Ein wenig erstaunt blickte Tessa auf ihn hinab. Er schien vielleicht 15 Jahre

alt zu sein und würde in zwei Jahren bestimmt der Schwarm aller Frauen werden, auch wenn er nicht der Sohn des mächtigsten Magiers der Inseln gewesen wäre.

"Ja, Omas. Bitte zeige Tessa erst einmal ihr Zimmer."

"Gern, Vater!"

Omas ergriff ihre Hand und zog sie mit leichter Gewalt aus dem Zimmer heraus.

Er führte sie über die breite Treppe in das Obergeschoß der Villa. Direkt

neben dem Kopf der Treppe hielt er an.

"Hier ist dein Zimmer. Mach dich erst einmal ein wenig frisch, dann zeige ich dir den Rest des Hauses."

Er öffnete eine Tür und ließ sie dann allein.

Sie wunderte sich kurz, wie denn der Junge überhaupt von dem Wunsch seines Vaters erfahren haben konnte, verwarf diesen Gedanken aber wieder.

Schließlich befand sie sich hier im Haus eines Magiers ersten Ranges. Solche Kunststücke zählten wohl zu den kleinsten seiner Zauber.

Noch immer beeindruckt von all dem Reichtum, der sie hier umgab, betrat Tessa das Zimmer. Nicht, daß die anderen Bewohner der Inseln in Armut lebten, aber solch ein Zimmer hatte sie nur sehr selten gesehen. Es war bei weitem besser ausgestattet, als sie es in ihren kühnsten Träumen erwartet hatte. Sie legte erst einmal ihren Umhang

auf das breite Bett und sah sich dann um.

Ihre Neugierde wurde von einer Tür geweckt, dieneben dem großen Fenster aus dem Raum hinausführte.

Was mochte sich wohl dahinter befinden?

Als sie sie öffnete, konnte sie einen leisen Ruf des Erstaunens nicht

unterdrücken

Sie hatte oeben einen Waschraum gefunden, der anscheinend

nur für sie allein bestimmt war.

Ein Luxus,den viele Bewohner der Inseln nicht für sich in Anspruch

nehmen konnten.

Sie schloß die Tür wieder und erforschte den Rest des Zimmers, das

für das nächste Jahr ihr Zuhause sein würde.

Es würde ihr hier wirklich an nichts fehlen, wie sie nach ihrer Inspektion feststellen konnte.

Am Nachmittag zeigte ihr Omas den Rest des Hauses. Nach dem beeindruckenden

Erlebnis mit ihrem Zimmer hatte sie eigentlich nicht gedacht, daß sie

noch irgendetwas überraschen könnte; dennoch konnte sie mehrmals einen bewundernden Ausruf nicht unterdrücken.

Beim Abendessen eröffnete ihr Maraughn, daß sie den Rest des Tages auch noch frei hätte, um dann morgen gestärkt ihre Arbeit antreten zu können.

Beschwingt ging sie nach dem Essen auf ihr Zimmer zurück. Es würde die

reinste Freude sein, für den Magier arbeiten zu dürfen, dessen war sie sich sicher.

Es war bereits dunkel, und sie hatte die Kerzen des großen Leuchters angezündet, der warme Helligkeit in ihrem Zimmer verbreitete, als sie beschloß, sich

zu Bett zu begeben. Schließlich wollte sie morgen ausgeruht ihre Arbeit beginnen

und nicht gleich am ersten Tag auffallen.

Sie schälte sich aus ihren Kleidern und begab sich in den Waschraum. Zwei Minuten später öffnete sich die Tür zu dem Raum, und in ihr stand Omas.

Während sie sich kurz nach einer Möglichkeit umsah, ihre Blöße zu bedecken,dann aber feststellen mußte, daß sie sämtliche Kleidungsstücke in dem anderen

Raum gelassen hatte, schien sich der junge Mann nicht an ihrer Nacktheit

zu stören.

Langsam ging er auf sie zu.

Tessa wollte zurückweichen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Es schien,

als ob ein fremder Wille sich ihrer bemächtigt hatte. Hilflos mußte sie zusehen, wie der Junge vor ihr stand und sie von oben bis unten musterte.

"Ich wußte, daß du es sein würdest."

Mit diesen Worten, mit denen sie rein gar nichts anfangen konnte, umarmte

er sie und drückte seine Lippen auf die ihren. Es war ein etwas unbeholfener Kuß,

von dem sie aber kaum etwas spürte, da ihr Geist immer mehr zurückgedrängt

wurde.

Dann zog er sie in ihr Zimmer zurück und legte sie auf ihr Bett.

Langsam machte sich Panik in ihr breit, denn sie hatte nun wirklich keinerlei

Kontrolle mehr über ihren Körper. Sie bekam nicht mehr mit, was Omas mit ihrmachte, sondern war eingesperrt in ihrem Geist.

Plötzlich lockerte sich der Einfluß, und sie konnte ihren Körper wieder wahrnehmen.

Mit einem Schrei stieß sie Omas von sich herunter und sprang auf.

Dann bemerkte sie Maraughn. Der Magier mußte in der Zeit ihr Zimmer betreten haben, als sie keinen Einfluß auf ihre Handlungen hatte.

Maraughns Augen funkelten, als er von ihr zu seinem Sohn blickte und dann wieder zurück.

"So also dankst du mir, daß ich dich erwählt habe. Bereits an dem ersten Tag in diesem Haus verführst du meinen Sohn. Ich hätte es wissen müssen. Aber du wirst deine Strafe bekommen."

Eiskalte Härte sprach aus ihm, während er ein paar Handbewegungen machte.

Sie wollte ihm noch zurufen, daß sie es nicht gewesen war, daß sie keine Schuld

an den Vorkommnissen hatte. Doch alles, was ihren Mund verließ, war ein leises Quieken

Bitter sprach Maraughn weiter:

"Du wirst dazu verdammt sein, deine Nächte als Ratte zu verbringen, bis in alle Ewigkeit. Denn dein Benehmen gleicht dem einer Ratte, und so hast du nichts anderes verdient. Niemals mehr wirst du des Nachts bei einem Mann liegen können. Nur des Tags wirst du dich als Frau durch die Gegend bewegen können. Doch bei Dunkelheit wird dich die Rattengestalt überkommen. Jeden Abend wirst du gehetzt nach einem Versteck für die Nacht suchen und hoffen, daß du vor Sonnenuntergang eines finden wirst, denn die Menschen werden dann anfangen, dich zu jagen - als das Ungeziefer, das du bist."

Tessa wußte nicht, ob sie sich nun benutzt, verzweifelt, beschmutzt oder

verärgert fühlen sollte. Mit einer Mischung aus all diesen Gefühlen sprang sie schließlich den Magier an. Doch sie erreichte ihn nicht. Mitten im Sprung prallte sie wie von einer Wand ab und landete unsanft auf dem Boden, wo sie schließlich

resignierend liegenblieb. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so schlecht gefühlt.

Dann griff Maraughn mit fester Hand nach seinem Sohn, drehte sich um und verließ das Zimmer, ohne ihr auch nur die Spur einer Chance zu geben, sich zu rechtfertigen. Zurück ließ er eine etwas zu groß geratene Ratte mit hellblondem Fell.

"Dann verfrachtete er mich in einer Kiste auf ein Schiff, das heimlich nahe Tantoria ankerte und mich dort von Bord ließ. Sein Fluch hat sich erfüllt, denn ich lebe jetzt schon seit mehr als drei Monaten in dieser Stadt, immer auf der Suche nach einem Versteck."

Tessa sackte ein wenig zusammen, und die Decke rutschte wieder an ihrem

Körper herab. Sie achtete nicht darauf, sondern verbarg ihr Gesicht in ihren Händen,

leise vor sich hinschluchzend.

Marko Nightwave gab dem Impuls nach, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten.

Leise summend wiegte er sie hin und her, wie man es mit einem Kleinkind zu tun pflegt. Er wußte, daß sie jetzt Trost brauchte.

"Er hat mich noch nicht einmal angehört. Wenn er mir nur zugehört hätte, hätte ich vielleicht..."

Sie brach ab, unfähig weiterzureden.

Sanft strich ihr Marko über das lange, blonde Haar.

"Ich verspreche dir, wir werden ihn finden. Und dann wirst du dich rechtfertigen können. - Ich verspreche es dir."

Er wußte nicht, was ihn zu dieser Äußerung getrieben hatte; ob es nun ihre Geschichte war, weil er sie bedauerte, oder ob es einfach nur ihr warmer Körper war, der sich an den seinen schmiegte.

Langsam sanken sie zu Boden.

ENDE

© 2.4.93 by Winfried Brand / Mercÿless Story Production

© der überarbeiteten Fassung 05.01.95 by Winfried Brand /

Mercÿless Story Production

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