14. DAS VERMÄCHNIS

Das Vermächtnis

(Der Bund von Torn)

von Christel Scheja

Schritt um Schritt kämpfte ich mich durch den lockeren Sand die Düne hinauf, dahinter, so wusste ich, würde ich bald felsigeren Boden erreichen und einem ausgetrockneten Wadi folgend, eine Oase, finden.

Ich zog das Tuch weiter über meine Stirn um die wabernde Hitze und das Gleißen des Sandes besser von meinem Gesicht abzuhalten. Als ich den Grad erreicht hatte, atmete ich auf, blickte ich doch hinab, auf eine Talsenke die in Felsen auslief.

Dort unten würde ich mich einen Moment ausruhen können. Oder sollte ich besser hier oben im Schutze eines Überhanges rasten?

Nein, noch nicht!

Energisch schüttelte ich den Kopf. Bei den Sonnen!

So lange war ich doch wirklich noch nicht unterwegs und die zweite Sonne hatte noch nicht einmal den Zenit erreicht.

Zum Glück war um diese Jahreszeit nur eine der beiden Sonnen über der Ebene.

Immerhin war ich erst in der Morgendämmerung aufgebrochen um das s`kima zu erfüllen. Ich lächelte.

Das war ein Vermächtnis, das alle Erstgeborenen der Sippe Al'Ruth zu erfüllen hatten, um zu beweisen, dass sie eines Tages fähig sein würden, die Herrschaft über den Stamm zu übernehmen.

Es war keine Prüfung des Mutes, der Ausdauer und der Körperkraft, sondern eine des Geistes.

Schon mein Vater und dessen Vater waren zuvor fort gegangen, um sich der großen Mutter Wüste hinzugeben und zu verstehen zu lernen, wie wir mit und in ihr leben sollten.

Ich sollte die Stimme einer Sonne vernehmen und mich ihrem Ratspruch beugen. So war ich guten Mutes, und die Alten erzählten, dass kein Prüfling länger als einen Tag in der Wüste verbracht habe, und nur selten einer nicht zurückkehrte.

" Du wirst deine Schritte mit dem Wind lenken und dem Lauf der Sonne folgen.

Wenn du dich in der Nacht niederlegst werden Träume über dich kommen, Visionen, die dich leiten werden! " hatte mir mein Vater zum Abschied mitgegeben.

" Sieh nicht mit deinen Augen, sondern mit deinem Herzen. Viele seltsame Dinge werden geschehen und vielleicht wirst du einen Hauch des verlorenen Imai spüren, aus dem unsere Ahnen vor vielen Generationen verbannt wurden.

Es war gerecht, so, denn sie hatten den Bund mit der Mutter und der s´tai vergessen.."

Ismai.. Ich schloss die Augen, um mich an die Worte der Großmutter zu erinnern.. war ein blühender Garten gewesen, gespeist von Quellen, die nie versiegten, mit Orten, die sonnendurchflutet und doch geschützt waren.

Mit weiten Hallen aus prunkvollen Stein. Doch als seine Bewohner überheblich wurden und die Wüste schändeten und ihrer Schätze beraubten, war der schreckliche Zorn der Mutter über sie gekommen und hatte die Frevler getötet und die

weniger Schuldigen aus dem heiligen Ort vertrieben, auf dass sie ihr Leben in der Einöde fristen und ihre Taten bereuen mochten.

Mit diesem Wissen zum Geleit war ich losgezogen.

Vor Wind und Sonne durch mein helles Gewand und den Schleier gut geschützt und mit einem Wassersack auf der Schulter, der meinen Durst lindern sollte.

Um mich abzulenken, dachte ich an meine Schwester, die am selben Tag wie ich das Licht der beiden Sonnen erblickt hatte.

Kymarah befand sich schon seit einem Jahr nicht mehr in den Zelten des Stammes, sondern war zu den Ufern des großen Stromes gereist, um dort von den weisen Männern und Frauen zu einer Sham´al Ur gemacht zu werden.

Sie lernte dort die geheimen Künste und das Wissen der Götter kennen und würde erst wieder zu uns zurückkehren, wenn sie, wie ich jetzt, eine Prüfung bestand.

" Ich wünschte, ich könnte bei dir sein, Schwester."

Murmelte ich leise und unterdrückte die Frage, was sein würde wenn sie diese nicht bestand?

Würde sie in Schande zu uns zurückkommen oder gar nicht mehr?

Ich schluckte, denn für einen Moment glaubte ich, mich an einem anderen Ort zu befinden, an dem kühl und dunkel war und kein Laut zu vernehmen war, außer meinem eigenen Atem und dem Pochen meines Herzens.

Im nächsten Moment jedoch schrie ich auf und ruderte mit den Armen, als ich den Halt

unter meinem Füßen verlor und. zu fallen und rutschen begann!

Wie hatte ich nur so dumm sein können?

Jedes kleine Kind lernte doch schon früh, dass man beim Herabsteigen einer Düne

nicht träumen, durfte, sonst konnte es einem übel bekommen! Ich stolperte und stürzte in.

den Sand, überschlug mich,

rollte und rutschte unaufhaltsam nach unten. Immer.

wieder versuchte ich. Halt zu finden, aber

das war vergeblich.

Plötzlich tat sich unter mir ein dunkles Loch auf, das mich wie ein

hungriges R'abun verschlang.

*

Nachdem ich den bitteren Trank der. Erkenntnis zu mir genommen hatte, war ich in

einen tiefen Schlaf gesunken und erst wieder in der Dunkelheit und Kühle eines unterirdischen Raumes erwacht.

Ich atmete den bitteren Duft von Lehm' und Erde ein und lauschte der Stille, denn mehr vermochte ich nicht zu tun. Mein Körper war wie gelähmt,

obgleich ich den Hauch eines Windzuges auf meiner nackten Haut spüren konnte

.

Ein kalter Schauder lief über meine Haut und ich fragte mich verwirrt, ob meine Prüfung schon begonnen hatte. Sicher, meine Lehrer hatten vom Schoß der Erde gesprochen, in den ich mich begeben musste, um die Göttin zu erwarten,

aber das sah nicht wie eine Tempelhalle aus.

Auf mich wirkte es eher wie ein Verließ. Was hatte ich zu erwarten? Als die Angst in mir hinauf kroch, dachte ich, um mich abzulenken, an meinen Bruder Kiman, die andere Hälfte meiner Seele.

Was tat er jetzt wohl gerade? Ich lächelte innerlich. Sicher war, er schon los gezogen, um das s'kima zu erfüllen, die Reise in die Wüste, die er, durchführen musste, um als Nachfolger unseres Vaters anerkannt zu werden und bestimmt hatte er es bereits

bestanden.

Denn er war klug und geschickt.

Ich wünschte mir, endlich wieder bei ihm zu sein, so sehr sehnte ich mich nach ihm.

Ihn in die Arme zu nehmen, mit ihm zu reiten und an den Feuern zu sitzen.

Wir hatten uns so viel zu erzählen..

Und dann war mir plötzlich, als spürte ich den warmen Hauch des Windes an meiner Wange, hörte sein beständiges Säuseln, das ich so sehr vermisste, seit ich an diesen Ort gekommen war, dieses riesigen Haus aus Stein.

Ich dachte wehmütig an unsere Kindheit in den Zelten des Stammes, in der wir beide

glücklich und unzertrennlich gewesen waren und hatten die Freiheit genossen. Seit ich hier war, hatte ich den Tempelbezirk nicht mehr verlassen dürfen,

und wenn ich nicht gerade die alten Riten der Göttin erlernte, Dienerpflichten wie das Reinigen und Flicken der Gewänder, erfüllen müssen.

Die Rh'kem waren freundlich und geduldig, und sie wussten so viel, aber ich fragte inzwischen, wie ich das Wissen, das sie mir vermittelt hatten, in den Zelten anwenden konnte, wie ich der Mutter dienen sollte, wenn die Hälfte der Dinge, fehlte,

die ich für die Riten brauchte, oder viel zu teuer waren wie etwa der Weihrauch, den wir in den Andachten verbrannten.

Dennoch hatte ich gehorsam gelernt, um mein Volk nicht, zu enttäuschen und die Monate waren dahingeflogen wie ein Blatt im Wind. Schneller als erwartet, war die Zeit der Prüfung gekommen.

Die Priester hatten mich aus den Hallen der Schüler gerufen und ich hatte drei Tage gefastet, um mich von allem irdischen zu reinigen und nur das Wasser der heiligen Quellen zu mir genommen.

Dann schreckte mich ein Licht das an der Decke erschien auf. Es war nur ein Funke,

aber er genügte, um mich zu blenden.

Mit einem klagenden Laut schloss ich die Augen und hielt den Atem aus Schreck an, denn da war noch etwas anderes....

Früher hätte ich das Geräusch nicht so klar und deutlich vernommen.

Mein Herz begann heftig zu pochen, doch noch immer konnte ich kein Glied rühren. In mir schrie alles nach Flucht, denn ich. kannte den Laut nur zu gut!

Die Alten ahmten ihn nach, und behaupteten, dass ihn einer von uns nur an dem Tag vernähme, an dem er stürbe.

Ssskt. Ssskt.

Ich wusste, dass sich mir eine Sh'ar- Viper näherte. Ihr Biss tötete sofort. Sie war auch die Todesbotin der Göttin, deren, anderer Name Mutter der Schlangen war.

Ich schloss die Augen und schluckte. Verzweiflung stieg in mir auf. Hatte ich versagt und die Göttin strafte, mich nun auf diese Weise?

**

"Bei dem Giftatem der Sh'ar l" fluchte ich wütend, während ich die Benommenheit abschüttelte und mich langsam aufsetzte

Über mir fiel das Tageslicht durch das Loch in eine unterirdische Höhlung. Der Rückweg, war mir versperrt, denn ich würde den Sand, der langsam durch die Öffnung rieselte

in Massen mit mir reißen und darin ertrinken.

Instinktiv tastete ich nach dem Wassersack, der wie durch ein Wunder meinen Sturz überstanden hatte und auf einem Hügel aus Sand neben mir lag.

Ich holte tief Luft und sah mich um. Musste ich hier elendig sterben? War ich durch

meine eigene Dummheit ein Gefangener der Wüste?

Vielleicht nicht, denn jetzt entdeckte ich einen Gang, der in die Dunkelheit führte.

Hoffnung keimte in mir auf.

Das war besser als nichts.

Im nächsten Moment zuckte ich jedoch zusammen und sprang auf, um meinen Kopf

verwirrt zu wenden.

War da nicht das Scharren eines Schlangenleibes zu hören gewesen? Angst stieg in mir auf.

Die Vipern, die Todesboten der Wüste versteckten sich oft in den unterirdischen Höhlen der Wüste und

ich hatte nichts, um mich gegen sie zu wehren, nicht einmal einen Stein!

Angestrengt lauschte ich noch einmal konnte aber nicht mehr als das Rieseln des

Sandes vernehmen. Vielleicht hatten mich meine Sinne getäuscht, aber ich wollte es als

Warnung nehmen.

Mir blieb ja nichts anderes übrig, als mich ohne Licht in der Gang

zu wagen.

Schon nach wenigen vorsichtigen Schritten stand ich in der Dunkelheit. Langsam tastete

ich mich vorwärts, bis ich erleichtert

feststellte, dass es doch nicht so dunkel hier unten war.

An den Wänden schimmerte grünliches Moos, in der Luft schwirrten kleine leuchtende Sporen, die sich alsbald an meiner Kleidung festsetzten. Ich sah genug, um Felsenvorsprüngen und Steinen auszuweichen oder über anderes,

was ich lieber nicht betrachten wollte, hinweg zu steigen.

Auch wurde es kühler, je weiter ich vordrang. Ich hatte, das Gefühl, dass dieser Pfad kein Ende nehmen wollte, obgleich ich verbissen weiterlief bis meine Füße schmerzten und mein Mund trocken brannte.

So suchte ich mir einen Felsbrocken, auf den ich mich setzen konnte und nahm einen tiefen Schluck aus meinem Wasserschlauch, lehnte mich gegen einen Teil der Wand, der nicht von dem Moos bedeckt war.

Meine Glieder taten mir weh, und der Kopf fühlte sich bleischwer an. Für einen Augenblick

kämpfte ich noch gegen meine Erschöpfung an, dann sank ich, in einen leichten

Schlaf.

Eine Berührung schreckte mich auf. Instinktiv warf ich mich herum, packte zu und umklammerte dann plötzlich eine kühles, sich feucht anfühlendes Wesen, das ich

zuerst für eine Echse hielt.

Doch dann sah ich, dass in meinen Griff eine nackte Kreatur

zappelte, nicht größer als ein Neugeborenes

Der haarlose Kopf wurde von zwei großen, schillernden Augen beherrscht, die in dem

schwachen Licht saß glitzerten. Es besaß einem lippenlosen Mund in dem silbrige

Reißzähne blinkten, die es in mein Fleisch zu graben suchte.

Der Rest seines Körpers

war von schuppiger Haut bedeckt. Was war das? Was wollte es von mir?

Es biss mich in den rechten Arm.

"Au!"

Mit einem Aufschrei ließ ich die Kreatur los und umklammerte die blutige

Wunde.

Das Geschöpf stieß ein keckerndes Lachen aus, schnappte meinen Wasserschlauch und flitzte auf seinen kurzen Beinen davon.

Wut stieg in mir hoch.

Ich ließ mich doch nicht verlachen und dann auch noch bestehlen.

Das Wasser war mein kostbarstes Gut

.

Hastig sprang ich auf und rannte hinter dem Wesen her.

Das würde ich mir nicht gefallen

lassen!

Immer wieder stolperte ich auf dem unebenen, Kiesel bedeckten Boden, doch ich verlor

es nicht aus den Augen - bis zu dem Augenblick, in dem klebrige Ranken von oben auf

mich herab fielen, wie Schlangen um mich wanden und nach oben rissen..

Ich wehrte

mich verzweifelt, aber sie umwickelten mich schneller, als ich sie abreißen konnte.

***

Der kalte schuppige Körper berührte meine Schenkel. Meine Muskeln verkrampften sich, aber sie gaben der Angst nicht nach.

Ich konnte mich noch immer nicht bewegen, aber jede Berührung des schuppigen Körpers jagte Krämpfe und Schauder durch meinen Körper. '

Ich schluchzte. Die Sh'ar verharrte auf meinem Bauch.

Mein Zittern verstärkte sich..

Verzweifelt schloss ich die Augen, um sie wenigstens

nicht mehr sehen zu müssen.

Die Viper rührte sich jedoch nicht.

Auf was wartete sie? Für einen Moment glaubte ich,

sie nicht mehr zu spüren und beruhigte mich etwas.

Lautlos flüsterte ich Gebete an die

Herrin und bat sie um Rettung oder Erlösung, bis ich mich soweit gefasst hatte, dass

ich die Augen wieder öffnen konnte. Wenn ich schon sterben musste, dann wollte ich

meinem

Tod in die Augen sehen.

Und das tat ich im wahrsten Sinne des Wortes. Die

Viper glitt über meinem Bauch und zwischen den Brüsten hindurch, so dass ich sie

sehen konnte.

Ich schluckte. Ich hatte nicht erwartet, dass die Sh'ar so schön war, so anmutig.

Sie glitzerte so als bestände sie aus Gold und Juwelen und in dem Muster ihrer Schuppen

konnte sich mein Blick verlieren.

Alle anderen Schlangen der Wüste waren hässliche Geschöpfe.

Die regenbogenfarbenen Augen der Sh'ar bannten mich.

Ich war nun wirklich gelähmt, konnte nicht einmal mehr die Lider bewegen, die schon

bald zu schmerzen begannen. Der flache Kopf der Schlange wiegte sich in meinem

Blickfeld hin und her.

Ich spürte Gefühle, die nicht von mir selber stammen konnten -

Belustigung über meine Angst, freundliche Sorge um mein Wohlergehen, und Beruhigung...

Dann stieß die Viper blitzschnell vor. Messerscharfe Zähne bohrten sich in meinen

Hals, doch meine Stimme war gelähmt und ich konnte meinem Schmerz nicht mehr

heraus schreien.

Wie Feuer flutete das Gift durch die Adern zu meinem Herzen.

Oh Göttin, ich spürte, wie sich die Dunkelheit über mich senkte ... wenn doch nur Kiman ... Die letzten Gedanken galten, meinem Bruder...

****

"Ah, nein!" Verzweifelt versuchte ich mich frei zu strampeln und zerrte, wütend an den

Ranken, erreichte jedoch nur, dass sie sich enger, um mich zogen und mich beinahe

erwürgten. 4Nur noch benommen bekam ich mit,

wie sich die Ranken wieder absenkten,

als habe es ihnen jemand befohlen, und mich auf den Felsboden drückten.

Ich spürte feine kurze Bewegungen. Schnell waren die kleinen Wesen über mir, keckerten und quiekten schrill, so dass meine Ohren schmerzten. Sie krallten ihre Klauen in meine Gewänder und rissen daran, um mich neugierig zu untersuchen.

Ihre Stimmen klangen enttäuscht, als sie nichts fanden.

Ich spürte, dass sich die Ranken unter ihren Berührungen lockerten.

Schließlich gelang

es mir eine Hand zu befreien, doch kaum griff ich nach einem der Wesen, fielen die

anderen über mich her, krabbelten auf mir herum, rissen an meinen Haaren und bissen

in die Hand, so dass ich schließlich aufgeben musste.

Energisch wickelten sie mich wieder

in die klebrigen Ranken ein wie in einen Kokon, so dass ich mich schließlich gar nicht

mehr rühren konnte.

Ich war verzweifelt!

Warum hatte mich keiner vor dieser Gefahr gewarnt?

Weder mein Vater noch die Alten?

Aber mit einem Male begriff ich: Vielleicht waren diejenigen, die das s'kima überlebt

hatten, niemals in eine solche Lage geraten.

Ich erinnerte mich mit Schrecken daran, dass es schließlich auch Prüflinge unter dem

Bann des S'kima gegeben,

die nicht zurück gekehrt waren, so wie der ältere Bruder meines Vaters.

Ich schluckte, als ich mich der seltsamen Gegenstände entsann, die ich

im Gang ertastet hatte.

Waren das nicht vielleicht menschliche Knochen gewesen?

Dann hoben mich einige der Geschöpfe hoch, trugen und zerrten mich einen weiteren Gang hinunter.

Ich riss die Augen weit

auf und bewegte den Kopf, um mich umzusehen, aber schon bald konnte ich in der

zunehmenden Dunkelheit nicht mehr viel erkennen.

Meine Träger hingegen schienen immer noch alles, erkennen zu können, denn sie

bewegten sich sehr zielstrebig, und ohne Stocken.

Ich biss die Zähne zusammen. Was hatten die Kreaturen nur vor?

Wollten sie mich

etwa fressen, da ihre Reißzähne schlimmes erahnen ließen- Oder wollten sie mich einem

anderen unheimlichen Wesen der Wüste opfern?

Ich begann zu zittern, als ich mich an die Geschichten- der Alten erinnerten, mit denen

sie uns als Kinder immer erschreckt hatten:

Von den Kreaturen, den D'hasei der Wüste, die nur darauf lauerten, einen unachtsamen

Nomaden in die Irre zu fuhren und zu töten.

Sie sind böse bis zum Grund ihrer Seele, denn die D'hasei sind nicht weniger als die

Geister derjenigen, die sich gegen die Göttin versündigten und nicht mehr dem Untergang von Imai entkamen.

Der s'tai hat sie verflucht und der Qual ewigen Lebens in der

Gefangenschaft überantwortet! wisperte es in, meinem Geist.

Denkt immer daran- Auch

ihr werdet euch in einen D'hasei .verwandeln, wenn ihr die heiligen Gesetze des

Stammes nicht achtet!

Ich hatte das immer für Drohungen gehalten, die man an unartige Kinder richtete.

Aber nun begann ich daran zu glauben, dass sie vielleicht gar nicht so falsch waren..

Nur

zu gut erinnerte ich mich. an. meine, damalige

Angst, denn sie war nun zurückgekehrt. In unserer Kindheit war Kymarah immer die

Mutigere gewesen, sie hatte mich immer getröstet, und Erklärungen für das Wispern

des Sandes

und andere unheimliche Dinge gefunden, wenn ich glaubte, dass die D'hasei

kämen, um mich zu holen.

Im nächsten Augenblick schreckte ich hoch. Was geschah jetzt?

Instinktiv spannte ich mich an.

Ein leises Rauschen und Säuseln erklang aus der Richtung, in die sie mich schleppten,

und ein schwacher Wind kühlte mein Gesicht, brachte den Duft der Wüste mit sich.

Warum trugen sie mich nach draußen?

Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, legten mich die seltsamen Wesen nieder und

verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

Ich starrte, auf den wolkenlosen

Nachthimmel, an dem die vertrauten Sternbilder funkelten

. Das der Schlangengöttin

schien heute besonders hell zu leuchten.

Ich war tatsächlich draußen. Die vertrauten Geräusche beruhigten mich, das Wispern

des Windes, das Knistern des Sandes, und

...

Snik... snik.. .snik...

"Nein!" Alles krampfte sich in mir zusammen, und ich begann mich hektisch zu bewegen, um die Ranken zu lockern, zu zerreißen.

Doch die diese waren mittlerweile so

hart wie Stein geworden.

Sollte ich als Opfer für Skorpione dienen?

Oh Göttin, nein, ich war dem Tod geweiht!

Meine anfängliche Freude verwandelte sich in Angst.

Vielleicht war ich wieder an der

Oberfläche, aber ich würde dennoch sterben

.

Das Scharren war zu laut. Das oder die Tiere mussten größer als gewohnt sein.

uchten

sie mich?

Vielleicht, wenn ich mich ganz still verhielt, dann konnte ich vielleicht ...

Ernüchtert holte ich Luft und ergänzte die letzten Gedanken verbittert ... meinen Tod

herauszögern.

"Ich bitte dich. Große Mutter der Wüste, zeige doch Gnade. Ich will von nun an

immer dein demütiger Diener sein", flehte

ich verzweifelt und hielt die Luft an.

Denn als hätte mich die Göttin wirklich erhört. entstand plötzlich, nur wenige Schritte

vor mir, ein schwaches Glühen, das sich zu einer menschlichen Gestalt formte.

Ich stieß zischend die Luft wieder aus.

Das war doch meine Schwester Kymarah

Wie konnte das sein? Sie hielt sich doch an einem Ort, viele Tagesreisen entfernt auf.

Nein, mein Verstand umnebelte sich bereits vor Angst, um. es mir leichter zu machen.

Ich wollte nicht daran glauben...

Und doch; An ihrer unvergleichlichen Bewegung, mit der sie ihr hüftlanges schwarz-

seidenes Haar zurückwarf und dem besorgten Blick aus ihren wunderschönen dunklen

Augen erkannte ich sie!

Ihr Leuchten war ein deutliches Zeichen für die noch vorhandene Gefahren, Ich hörte

das näher kommende Scharren und das Klicken von Scheren. "Bei der Göttin! Uns nähert sich ein riesiger Skorpion, Kymarah! Du mußt fliehen!"

Meine Schwester drehte sich jedoch nur um und hob die Hände. Aus ihrem Mund erklang ein seltsamer unmelodischer Singsang, und das snik snik, snik erstarb mit

einem Male.

Ich atmete auf. Meine Schwester war wirklich bereits eine machtvolle Sham al'Udr,

denn nur die bewahrten in solch einer Gefahr Ruhe.

Kymarah kauerte sich an meiner Seite. Ich starrte sie erstaunt an, denn in ihrem Gesicht

stand nicht Freude, sondern Verwirrung geschrieben, als wisse sie selber nicht, wie

sie an diesen verfluchten Ort gekommen sei.

"Kiman, du hier?" wisperte sie fragend.

"Ja ich bin es wirklich!"

Ich lachte und wurde schlagartig wieder ernst. "Was ist mit

dem Skorpion geschehen?"

"Nun, ich habe ihn eingeschläfert, so wir es im Tempel als erstes gelernt haben." entgegnete sie bescheiden.

"Er wird erst wieder erwachen, wenn die Sonne hoch am Himmel

steht. - Was machst du denn hier? Bist du

nicht auf deinem s'kima?"

"Doch, das bin ich wohl aber meine Unachtsamkeit hat mich in diese mißliche Lage

gebracht. Bitte befreie mich erst einmal aus den Rankenfesseln, damit ich dir in aller

Ruhe erzählen kann. Was passiert ist!"

seufzte ich.

"Oh. Ich danke der Göttin aus

tiefstem Herzen für die Rettung. Nur Kymarah, warum hat sie gerade dich gesandt?"

Ein schmerzlicher Ausdruck über das Gesicht meiner Schwester oder täuschte ich mich da?

Sie antwortete nicht, sondern widmete sich lieber meinen Fesseln. Ihre Hände

legten, sieh auf die getrockneten Pflanzen, dann sprach sie einige kehlige

Worte.

Ich zuckte zusammen, als es an diesen Stellen heiß wurde, aber ihr Zauber erreichte

sein Ziel.

Die Ranken lösten sich und fielen von mir ab. Rasch schob ich sie aus meiner

Reichweite, setzte mich auf und nahm meine Schwester in die Arme und stellte fest,

dass sie gar nichts am Leib trug.

Warum war mir das vorher nicht aufgefallen? Andererseits erklärte es ihr rasches Auftauchen.

Sie hatte nur einen Teil ihres Selbst gesandt.

Ihr Körper ruhte an einem anderen Ort, und das was ich in den Händen hielt, war nur die

dünne Hülle ihres Geistes. Zart und zerbrechlich wie der Flügel eines der bunt-

schillernden Insekten, die in den Oasen lebten.

Ich staunte darüber, dass sie sich so anfühlte, als sei sie wirklich hier. Aber dieses Mysterium würde ich wohl niemals begreifen.

Verlegen löste ich mich wieder von ihr und lächelte sie an.

"Oh. Kymarah, du bist wirklich von der Göttin auserwählt worden. Ohne dich hätte ich sterben müssen, wie die vielen anderen hier.."

Ich blickte beklommen auf die um mich herum verstreuten Knochen. Nun wusste ich

ich, wo all diejenigen gestorben waren, die auf dem s'kima verschwanden.

Kymar

indes schien darauf nicht zu achten. Sie blickte nachdenklich auf den Horizont, an dem sich die ersten Anzeichen der Dämmerung zeigten, ich bemerkte eine kleine blutende Wunde an ihrem Hals.

*****

Bei der Göttin!

Ich war ganz sicher gestorben. Wie sonst hätte ich so schnell an diesem Ort sein können, um meinem Bruder beizustehen? Ich wusste, dass die Göttin manchmal Menschen auserwählte, die ihr auch noch nach dem

Tode dienten. Also hatte sie mir diese Gnade erwiesen und ich dankte ihr stumm, dass gerade ich Kiman erretten dürfen. Doch ich würde ihn niemals wieder wirklich in. den Armes halten dürfen. Traurig dachte ich daran,

dass die Priester meinen Körper wohl. bald in die Wüste tragen würden.

Mein Bruder berührte mich erneut. Ich schreckte zurück, denn seine Finger brannten wie Feuer auf meiner Haut.

"Kymarah, wie bist du hier her gekommen?" bedrängte er mich.

"Bist du nun eine Shamal'Udr?"

Ich sah in seinen Augen, dass er das glaubte. Wie sollte ich ihm nur deutlich machen, dass er mich nach diesem Tag nie wieder sehen würde.

"Was ist das für ein Ort?"

Im ersten schwachen Licht der Dämmerung sah ich mich nachdenklich um. Das war hier

wirklich ein trostloser Ort, nur ein Felsenkessel, der an steilen, zerklüfteten Wänden

endete.

Die Felswände, aber wirkten wie ein durchlöcherter Käse.

Wir saßen auf einem Felsvorsprung eines Knochen übersäten Plateau, und nur dicht unter uns lauerte der im Augenblick zu Stein erstarrte Skorpion, der die Ausmaße eines Kamelkalbes besaß.

Ich starrte die Kreatur an. Diese

würde bald wieder zum Leben erwachen. Bis dahin mussten wir verschwunden sein!

Ich betrachtete meine Umgebung noch einmal aufmerksam und dachte an die klugen

Geschichten und Gesänge der Heqt, durch die ich gelernt hatte, verborgene Zeichen zu

finden und zu deuten.

Ich kannte die ganze Vielfalt der Symbole des Stromlandes.

Vielleicht konnte ich durch sie einen Hinweis finden, wo wir uns aufhielten, und ob

es einen sicheren Ausgang aus dieser Falle gab.

Mein Blick fiel auf den Fels über einem der näheren Höhleneingänge.

Dort waren Symbole von Menschenhand in den Stein geschlagen. Ich zuckte zusammen, denn ich erkannte einige davon sofort. Und so wie sie angeordnet waren, konnte das nur eines bedeuten.

"Bei der Großen Mutter, Kiman, siehst du dort?"

Ich deutete auf den stilisierten Vogel über der Sonne.

"Erkennst du es nicht, Bruder? Das ist Imai. Das ist das verlorene Imai!" stieß ich erschüttert hervor.

"Das sind ohne Zweifel die Reste der Heimat unserer Vorfahren. Jener verfluchte Ort, den niemand mehr von uns betreten sollte."

Kimans Augen weiteten sich.

"Vater meinte, dass ich Imai vielleicht in einer Vision, einem Traum, schauen könnte,.., jedoch wirklich hier zu sein - das ist unglaublich!"

Er starrte mich an.

"Wie soll ich hier das s'kiraa erfüllen? Hier gibt es doch keine Geister, die

mich Weisheit lehren können - nur verfluchte Seelen!"

"Ich weiß es nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß.

"Ich kann mir nur vorstellen, dass die Göttin eine besondere Prüfung von uns fordert, weil sie di... uns für eine größere Aufgabe, ausersehen hat", fügte ich verwirrt hinzu und rieb mir über die Stirn.

Auf mich wirkte alles so unverständlich und die Wunde an. meinem Hals schmerzte, als

sei sie wirklich da.

Dann sammelte ich meine Gedanken. Sicher war es meine Aufgabe, Kiman aus Imai her-

auszuhelfen.

Sonst war er in diesen Dingen immer der Entschlossenere gewesen, aber diesmal musste ich die sein, die ihn mit sich zog und ihm Mut machte.

"Komm. Hier zu

hocken und zu warten nutzt nichts. Lass uns einen Ausgang suchen und die Höhlen erforschen, wenn es sein muß, oder willst du sterben?"

*******

Meine Schwester hatte recht. Wenn ich der Nachfolger meines Vaters werden wollte,

mußte ich auch Entschlossenheit und Mut

zeigen, selbst in scheinbar ausweglosen Situationen wie dieser.

Ich lächelte Kymarah an. Sie hatte mir den richtigen Weg gewiesen, und so erhob ich

mich und stieg über die Knochen hinweg

.

Kymarah folgte mir langsam. Schon bald ergriff ich wieder ihre Hand und zog sie

sanft hinter mir her.

Es war inzwischen so hell, dass wir weitere Einzelheiten erkennen konnten. Der Himmel

verfärbte sich bereits rot, und die ersten Strahlen der Sonne blitzten über den Horizont. Irgendwie schien es, als würden auch die Scheren des Skorpions wieder zucken.

Wir stellten nun auch fest, dass über jedem Höhleneingang in unserer Nähe ein Symbol

in die Felsen geschlagen war.

Ich blickte Kymarah fragend an,

"Welchen Eingang

sollen wir nehmen, denn immerhin sind die Zeichen nicht ohne Grund da, oder?"

"Nichts geschieht ohne Grund."

Kymarah runzelte die Stirn.

Es war die Aufgabe der

Frauen, sich mit magischen Dingen zu beschäftigen und das Wissen darum weiterzugeben. Meine

Mutter und die Sham al'Udr hatten sie schon darin unterwiesen, bevor sie

in den Tempel gegangen war..

Meine. Schwester berührte kurz entschlossen die Stickerei auf meinem Stirntuch.

"Hier,

die r'talis. Die sich ewig häutende Echse. Ich denke, das Zeichen unseres Stammes wird

uns Glück bringen!"

Ich lachte.

"Du hast Recht! Denn gerade hier und jetzt müssen wir auf unsere Überlieferungen verlassen!"

Ich streifte meinen Burnus ab'und reichte um ihr. "

Vielleicht kannst

du ihn brauchen."

Tatsächlich streifte Kymarah sich das Tuch

über und lächelte mich dankbar an. Ich zog erstaunt eine Augenbraue hoch, denn der

Stoff hatte wieder dieselbe reine Farbe wie bei meinem Aufbruch angenommen

und der

Schmutz aus den Höhlen war verschwunden. Vielleicht sollte ich meine Schwester

wenn alles vorüber war, einmal bitten, mir alles zu erklären, doch jetzt hatten wir nicht

mehr die Zeit dazu.

Rasch kletterten wir über einige Steine und an Vorsprüngen hinauf zu der Höhle.

Die

verwitterten Überreste einer Treppe waren eine große Hilfe für uns, denn gerade als

von unten wieder das

shik, srrik

erklang, erreichten wir den Vorsprung,

Ich lachte erleichtert auf.

"Das war gerade noch rechtzeitig, findest du nicht?"

"Ja, das stimmt!" entgegnete Kymarah verlegen.

"Ich hatte nur nicht damit gerechnet,

dass er so schnell erwachen würde."

Sie beobachtete wie ich das Toben der Kreatur im Kessel. Plötzlich griffen die Zangen

des Skorpions in ein Loch und zerrten etwas ans Licht des Tages.

Der Stachel zuckte vor

und bohrte sich zielstrebig in die nackte Brust eines haarlosen, kleinen Geschöpfes

Sein Zetern und Keckem verstummte

schlagartig.

Während sich der Skorpion mit seiner Beute davonmachte, stieß ich zischend die Luft aus und wischte mir den Schweiß von der Stirn.

"Das ist eines der Wesen, die mich an diesen Ort verschleppten", erklärte ich. "Sie wollten mich dem Skorpion opfern, glaube ich. Und sie beherrschen die Ranken, die mich fesselten."

Kymarah schob sich eine lange Strähne ihres Haares aus dem Gesicht.

"Die Flussleute

nennen die Wesen da Q'dro Nyan - kleine Plage. Diese Biester bevölkern die Ufer und

bestehlen die Bauern und Fischer aber eigentlich sind die harmlos und flüchten immer, wenn man sie aufscheucht.

Einige halten sie sich sogar als Haustiere, und im

Tempel werden sie an die Schlangen verfüttert,"

Schlangen! Das war ein gutes Stichwort .Ich sah meine Schwester ernst an.

"Du hast auch

einen Biß am Hals'."

'"Ja.. '' antwortete sie gedehnt, so als sei sie ganz weit fort.

"Nichts schlimmes, nur ein

Teil meiner Prüfung." Kymarah war dabei blass geworden.

"Lass uns hier nicht noch

mehr Zeit vertrödeln und jetzt endlich in die Höhle gehen!" sagte sie schroff.

Ich nickte verärgert.

Mit meiner Schwester stimmte etwas nicht.

Ich beschloss jedoch,

sie nicht weiter zu fragen, wenn ich auch nicht verstand warum, denn zwischen uns

hatte es nie Geheimnisse gegeben.

*******

Wie konnte ich Kiman erklaren, dass ich tot war, gestorben durch den Biß einer Sh'ar?

Dass mein Mal nur die Endgültigkeit unserer Trennung bezeichnete?

Ich wandte mich von ihm ab. Und um nicht weiter darüber nachzudenken, betrat ich entschlossen den Eingang.

Drinnen war es wie erwartet dunkel, aber durch einige Risse in der Decke fiel Tageslicht und meine Augen gewöhnten sich rasch an das Dämmerlicht.

Ich erkannte Bilder und Zeichen in den Wänden, hielt mich jedoch nicht damit auf, sie genauer zu be-

trachten. Diese Grotte war offensichtlich nur der Beginn eines Systems Gängen - aber

irgendwie hatte ich nichts anderes erwartet.

War Imai doch eine Stadt im Herzen der Würfelwelt, in einem von der Göttin als Heimstatt

geformten Felsen.

Uns gegenüber waren gleich drei Öffnungen zu sehen und wieder

befanden sich über ihnen Symbole:

Ein Stern, zwei zu einer Schale geformte Hände

... und eine, einem Kristall entspringende Flamme.

Ich runzelte die Stirn. Meine alte Lehrmeisterin hatte oft von der Bildersprache, unserer Vorfahren gesprochen.

" Es sind jedoch nicht nur bloße Wörter mein Kind, sondern heilige Symbole, denn jeder Schritt in Imai,

war einer in dem Leib der großen Mutter.

Mit Jedem Tor das du beschreitest kommst du Ihr näher- oder aber entfernst dich von

ihr."

Ich schrak aus meinen Gedanken, als mein Bruder über einen Stein stolperte und ihn

gegen die Wand trat.

Das Klacken hallte

mehrfach wieder. Auch er betrachtete Stirn runzelnd die Symbole.

"Wir müssen uns

schon wieder entscheiden."

Kiman blickte mich Hilfe suchend an und suchte vertrauensvoll den Griff meiner Hand.

"Weißt du auch jetzt noch weiter? Ich bin wirklich froh, dass du hier bist. Ohne dich wäre ich

schon längst verloren ...".

Er sah mich an.

"Es ist seltsam ... von klein auf sind wir unzertrennlich, und obwohl wir

glaubten, dass es mit der Schwelle zum Erwachsensein ein Ende hätte ... führte das

Schicksal uns auch jetzt wieder zusammen."

"Ich weiß!"

Ein seltsames Kribbeln durcheilte meinen Astralkörper, der sich nur in

einer dünnen Hülle in der wirklichen Welt zeigte.

"Vielleicht hat die Göttin uns das

vorherbestimmt."

Aber warum war ich. dann tot?

Energisch vertrieb ich, meine Zweifel und meine Angst und betrachtete die Symbole

.

"Lass uns dem Weg des Glaubens folgen!"

meinte ich und führte Kiman durch das Portal unter den Händen.

Wir durchschritten dunkle Gänge, in denen

wir uns manchmal nur voran tasten konnten, die aber immer wieder in erhellten Räumen

endeten.

Wieder und wieder musste ich die Zeichen über den Toren deuten, um uns

weiter zu bringen.

Wann immer wir einen

Irrweg nahmen, erkannten wir das an unseren Fußspuren im Staub, die wir kreuzten.

Wie konnten hier einst Menschen gelebt haben?

Einige der Hallen wirkten wie Wohnräume, aber jedes Anzeichen von Leben war verschwunden oder zu dem grauen Staub zerfallen, der den Boden knöchelhoch bedeckte? Manchmal meinte ich behauene Nischen und die Andeutung von

kleinen

Fensteröffnungen zu erkennen, aber der Fels war in sie geflossen und hatte sie

wieder verschlossen.

Schließlich schwanden meine Zweifel-

Wir erreichten eine Halle, die die Zelte unseres

gesamten Stammes aufzunehmen vermochte.

Der Boden war mit bunten Steinplatten

bedeckt, die ich auch aus dem Tempel der Flussleute kannte. Nur mit dem Unterschied,

das unsere Zeichen auf ihnen abgebildet waren!

An der Stirnwand erblickten wir reglose Gestalten, die eine riesige Schale aus weißem Stein- umstanden.

Das Feuer, das in ihr waberte schien nicht wirklich zu sein, denn

ich sah es auch mit meinen anderen Sinnen

Es ließ für die Augen die Gestalten lebendig erscheinen, aber es waren, nur Statuen aus

grauem Stein.

Erstaunt holte ich Luft.

"Das ist ein heiliger Ort, Kiman. Die Menschen des Flussvolkes

nennen, einen solchen Ort auch Tempel. Und dieser hier ist der unserer Vorfahren.".

Mein Bruder schwieg.

Ich konnte nicht erkennen, ob er erstaunt, neugierig oder bstürzt war.

Er stützte eine Hand in die Hüfte und starrte hinüber, unschlüssig, ob er sich

die Schale genauer ansehen sollte.

Ich überließ ihm die Entscheidung.

Mit meinem

Wissen hatte ich ihn an. diesen Ort geführt- nun musste er bestimmen, was wir tun sollten.

Die Magie dieser Halle durchflutete mich,

strömte durch mich wie die Wasser des Lebensstromes durch sein Bett.

Niemals hatte ich mich der Großen Mutter näher gefühlt als jetzt. Vielleicht weil sie in Ihrem Heiligsten gegenwärtig war?

Ich schloss für einen Moment die Augen.

Göttin, ich danke dir, dass du mich den Ort schauen ließest, an dem du einst unseren

Ahnen erschienen bist.

"Wir sehen uns das genauer an!" entschied Kiman nach einer langen Zeit des Schweigens.

"Du musst nicht mitkommen, denn meine Aufgabe ist es, das Unbekannte zu ergründen, um den Stamm einst sicher zu führen, ich darf jetzt nicht verzagen. Begleitest du mich?"

Ich blickte auf unsere ineinander verschlungenen Finger.

" Ja!"Nachdem wir so weit gekommen waren, wollte ich das letzte Geheimnis der Höhlen

nicht unerkundet lassen. Ich wusste ja nicht, ob wir jemals noch einmal einen Ausgang

finden würden,

trotzdem wollte ich nicht unwissend sterben. Kymarah würde mir

sicher zustimmen, und ich merkte an ihrem

Blick, dass sie mich nun auch noch ermunterte.

" Achte jedoch auf die Steinplatten. Ich.

bin mir sicher, dass der Weg durch die Halle eine weitere Prüfung für uns ist!"

Sie deutete auf einige Staubhaufen, am Rande der Halle, die mir bisher nicht aufgefallen, waren Ich schluckte, besaßen diese doch ungefähr die Form in sich zusammengesunkener

Menschen.

So musterte ich nachdenklich, die Steinplatten, versuchte einen Sinn in den Symbolen

zu finden.

Wie musste ich denken? Sollte ich meinen Gefühlen vertrauen oder alten Traditionen folgen?

Was hatte mich mein Vater gelehrt?

" Viele Dinge wiederholen sich, ob du nun zum Himmel siehst oder die Wüste betrachtest.

Und wenn du die Zeichen zu lesen verstehst, wirst du immer deinen Weg finden."

Und so erinnerte ich mich an die Symbole, denen wir gefolgt waren und tat den ersten

Schritt.

Nichts geschah, und so wurde ich immer mutiger.

Wenn ich mich nicht mehr an das

nächste Symbol erinnerte, oder unsicher war welches folgte, lenkte mich Kymarah

sanft in die richtige Richtung.

Wir waren in unser Tun so versunken, dass wir erstaunt aufsahen und bemerkten, dass

wir unser Ziel erreicht hatten, als wir vor der Steinschale standen.

Meine Schwester und ich hoben die Köpfe und blickten in die Juwelenaugen und das

bewegungslose Gesicht einer Statue.

So stellten sich die Flussleute ihre Götter, aber doch nicht wir?

Unsicher blickte ich zu

Kymarah, deren Augen sich erstaunt weiteten, denn das Antlitz der Statue, die ihre

Hände über das Feuer hielt spiegelten sich in den Zügen meiner Schwester wieder und

der Mann mit dem Speer an ihrer rechten Seite in den meinen.

"Das sind wir!" wisperte Kymarah und trat einen Schritt vor. Gebannt beobachtete ich,

wie sie ihre Hände auf den Rand der Schale legte und in das Feuer blickte.

Ich musste es

ihr gleichtun, denn es erschien mir als das einzig Richtige.

Ein seltsames Gefühl durcheilte meinen Körper, als ich im Feuer eine zerbrochene

Scheibe aus grünem Metall sah.

Sie war vielleicht so groß wie das Rad an. einem

Wagen der Flussleute und schmucklos.

Wenn sie einmal Verzierungen besessen hatte, dann waren die sicher weg gebrannt

worden.

Eine innere Stimme in mir wisperte, plötzlich, dass ich danach greifen solle und heilen,

was durch Unachtsamkeit und Missgunst zerbrochen sei.

Kymarah schien das gleiche

zu denken, denn ihre Hand hob sich gleichzeitig mit der meinem. Für einen Moment

fürchtete ich noch, dass die Flammen mich

verbrennen würden, doch nur ein warmer Hauch umschmeichelte unsere Arme.

Jeder von uns berührte eine Hälfte der Metallscheibe, die sich leichter bewegen ließ,

als ich vermutet hatte.

In. dem Moment, da

wir sie zusammen schoben und ein wahrer Strom von ineinander fließenden Bildern

und Mustern vor unseren Augen erschienen, schwanden, mir jedoch die Sinne.

Mein Kopf schwirrte von den unzähligen Eindrücken, die mich für einen winzigen

Augenblick in ihren Bann geschlagen hatten.

Dann war es schlagartig dunkel um

mich geworden.

Leb wohl mein Bruder, dachte ich müde.

Wenigstens habe ich in meinem letzten Traum an deiner Seite sein dürfen.

Vielleicht sehen wir uns in einem anderen Leben wieder...

********

Dann jedoch schreckte ich übergangslos hoch, nur um in das Gesicht der Heqt zu

sehen, die sich über mich gebeugt hatte.

Ihre Augen wirkten besorgt, aber dann lächelte

sie voller Stolz und stützte mich, als die Schwäche in meine Glieder fuhr.

"Endlich bist du erwacht, mein Kind. Ich dachte schon, das Gift der Sh'ar habe dich von uns

genommen. Du hast länger geschlafen, als es üblich ist."

"Dann bin ich. nicht tot?" fragte ich verwirrt.

"Das Gift der Sh'ar gilt doch..."

" Nur wenn du schwach- gewesen wärest, oder mit einem Makel behaftet, wärest du

nicht mehr erwacht.

Die Sh'ar des Tempels tragen ein besonderes Gift in sich, das nicht

sofort, nicht unbedingt tötet. Willkommen unter den Auserwählten der Göttin!"

Ich berührte das Mal an meinem Hals, das zu einem mir wohlbekannten Zeichen vernarbt war. Jetzt endlich wusste ich woher das Mal stammte, dass auch die alte Sham al'Udr. getragen hatte, und sich zu wichtigen Anlässen auf die Stirn malte.

Verwirrung erfasste mich. Dann war ich also die ganze Zeit hier gewesen und nicht an jenem anderen Ort, nicht bei meinem Bruder?

Meine Lehrmeisterin lächelte mich an und deutete auf eine kleine Truhe. "Dort liegen deine Gewänder.

Wenn es dir besser geht,

dann kleide dich an und komm zu uns in die Halle. Wir wollen deine Erwählung und

deinen Abschied feiern."

"Meinen Abschied?"

An der Tür drehte sich die alte Priesterin noch einmal auf meine

Frage hin um.

"Wie könntest du der Großen Mutter besser dienen als bei deinem Stamm, wo du dich wirklich geborgen fühlst? Wir wussten von Beginn an, dass du dich niemals an die Hallen aus Stein gewöhnen würdest und haben dich immer nur als Gast betrachtet.

Das ist es doch was du dir im tiefsten deines Herzens immer gewünscht hast oder? Sham al'Udr zu sein, eine Weise Frau. Die Göttin

hat Großes mit dir vor."

Sie wartete meine Antwort nicht mehr ab und verschwand aus dem Raum. Ich aber spürte, dass etwas in meinem Rücken stach und griff' danach. Mir stockte der Atem: Ich hielt die Hälfte einer Metallscheibe in den Händen, die jener aus dem Tempel Imais glich

und sie trug die Hälfte eines Symbols das gleichzeitig das meiner Berufung war.

Ich schluckte, als ich das leise Wispern vernahm, das mich erfüllte. Der Traum war

kein Traum gewesen'. Alles war so geschehen, wie ich es erlebt hatte.

********

Ich schreckte auf, als mich etwas kitzelte und sprang sofort auf, blind in die Sonne

blinzelnd. Es dauerte eine Weile, bis ich wieder sehen konnte.

Noch immer waren die

Spuren meines Sturzes auf der Düne zu sehen, aber ich war nicht in ein Loch gefallen, sondern gegen einen, versteckten Felsen geprallt. Ein Fiebertraum, weil ich das Was-

ser...

Hastig griff ich danach, doch der Beutel war ebenso verschwunden wie mein Burnus.

Ich sah mich verwirrt um. Was war damit bloß geschehen? Oder gab es die kleinen

Geschöpfe wirklich, die ich in diesem verrückten Traum gesehen hatte?

Ich hob die Hand an die Stirn.

"Warum muss das gerade mir passieren?" Ich war einfach nur unachtsam gewesen hatte geträumt, sonst wäre ich nie gestürzt.

Was sollte ich tun? Einfach weiterwandern, oder zurückehren und erzählen, was ich geträumt hatte? Die Alten würden doch über mich lachen! Nein, ich musste noch wegbleiben, und das Beste aus meiner Lage machen.

Etwas anderes blieb mir gar nicht übrig, beschämt über meine Unachtsamkeit.

Ich stöhnte auf.

Ein spitzer Gegenstand stach in meine Handfläche. Die ganze Zeit hatte ich krampfhaft die Hälfte einer zerbrochenen Metallscheibe m den Fingern, gehalten.

Und während ich das Symbol des

Stammesführers anstarrte, dass so seltsam unvollständig erschien, kehrte die Erinnerung zurück-

Also waren meine Erlebnisse in der unterirdischen Stadt doch kein Traum

gewesen.

Ich holte tief Luft und spürte, wie meine Zweifel wichen

. Nein, nun brauchte

ich nichts mehr zu erzählen.. sondern nur noch den Schmuck vorzuweisen, der grün metallisch in meiner Hand schimmerte.

Und Vater würde stolz auf mich sein, wenn ich

heimkehrte, denn ich kannte nun die Antwort auf die Fragen, die man mir stellen

würde

Ende.

C. by Christel Scheja

.