10. VOM ENTSCHEIDENDEN ÖRTCHEN 2

Von entscheidenden Örtchen 2

Ein lieblicher Duft

(Der Bund von Torn)

v. Christel Scheja

Mühsam meinen Niesreiz unterdrückend rückte ich ein Stück von Tejard, den Knappen meines Bruders ab.

Der Kerl wusch sich selten genug, diesmal übertraf sein Gestank alles, was ich bisher erlebt hatte.

Wenigstens schien ihn das heute auch zu stören, denn er kratzte sich immer wieder an den Schultern und am Hals.

" Wenn ich den Halunken erwische, der uns an Baron Rudegis und seine Verbündeten verrät, dann hänge ich ihn eigenhändig an den Ohren auf!"

brüllte mein Vater und fegte ein mit einer wütenden Bewegung die Schriftrollen und das Tintenfässchen vom Tisch.

" Wie können diese Mistkerle nur gewusst haben, dass die Wagen mit den Steuergeldern über den Rathel-Pass zogen und nicht, wie überall behauptet, den Tangel entlang?"

Beorn und Hrulf standen betreten an seiner Seite und kneteten unruhig ihre Hände.

Die Vasallen hinter meinen Brüdern bewahrten Haltung und ließen sich nichts anmerken- auch als mein Vater alle Männer wütend anfuhr.

" Was habt ihr mir zu sagen? Ihr alle habt die Wagen begleitet!"

" Wir.. wir können uns nicht vorstellen, dass einer unserer Männer, das getan haben soll..", begann Beorn vorsichtig.

" Wann sollte er dazu Gelegenheit gehabt haben?"

" Beorn hat Recht!" verlieh Hrulf der Aussage Nachdruck.

" Vater, du weißt, dass die beiden Raubritter mit ihren Männern den Tangel und den Rothorn-Wald durchqueren müssen- und das dauert lange. Nein, sie müssen schon viel früher davon gewusst haben. Ich glaube, jemand aus der Burg hat uns verraten."

" Mein Junge, wie soll das möglich sein. Im Wennemond hat meines Wissens weder einer vom Gesinde noch von den Rittern oder dem Hofstaat die Burg verlassen, das habe ich bereits nachprüfen lassen. Ebenso hat uns niemand aufgesucht."

" Darf ich etwas hinzufügen?" meldete sich einer der Vasallen zu Wort.

Mein Vater winkte ungeduldig.

" Es kann nur jemand aus unserem Kreis gewesen sein. Die Beratungen wurden im Geheimen abgehalten." , warf er in den Raum.

Betretendes Schweigen trat ein, in dem nur Teryards Kratzgeräusche zu hören waren.

Ich runzelte die Stirn und überhörte das penetrante Geräusch. Es gab noch weitere Möglichkeiten, wie jemand..

Ich hob den Arm, doch Vater Martwyn, der alte grauhaarige Gelehrte und Priester, drückte ihn energisch nach unten.

Er warf mir einen warnenden Blick zu.

Das verstand ich nicht ganz. Warum sollte ich meinen Vater nicht auf die Geheimgänge aufmerksam machen?

Einer lief doch genau an diesem Raum vorbei.

Verwirrt sah ich meinen Lehrmeister an, doch dieser schüttelte bittend den Kopf.

Ich gab nach, denn sicher würde er mir noch erklären warum. Mein Vater ließ währenddessen seine Augen durch den Raum schweifen.

" Ich will den Schuldigen bis morgen Abend in diesem Raum sehen, ansonsten fordere ich euch alle auf, die Steuergelder zu ersetzten. Bis auf die letzte Bronzemünze!"

Die Ritter schauten betroffen drein.

In den Truhen waren nicht gerade wenige Goldmünzen gewesen und manche würden ihre gesamten Ersparnisse verlieren, wenn sie die Summe erstatten mussten.

Mein Vater würde jedoch keine Gnade kennen.

Nun entließ er uns erst einmal alle mit einem Wink.

" Warum durfte ich meinen Vater gegenüber die Geheimgänge nicht erwähnen?" fragte ich Vater Martwyn als wir uns in das Studierzimmer zurückgezogen hatten. " Ich wollte ihn doch nur daran erinnern, dass jeder auf der Burg der Verräter sein könnte!

Durch den Geheimgang kann man ungesehen an den Wachen vorbei nach draußen gelangen!"

Mein Lehrmeister legte einige Blätter auf seinem Schreibtisch zusammen und stand dann auf, um sie in einer Mappe auf einem der Wandregale einzuordnen.

Ich lehnte mich gegen den schweren Eichentisch und erwartete eine Antwort. Etwas kitzelte in meine Nase.

" Hatschi!" Ich musste niesen. Heute roch es in diesem Rauch wieder besonders stark nach Arzneien. Vater Matwyn ließ sich Zeit.

Erst als er seine Schriften eingeordnet hatte, drehte er sich zu mir und meinte:

" Das stimmt, aber es wäre nicht klug gewesen, das so offen heraus zu posaunen.

Der Verräter könnte uns zuhören, und wäre damit gewarnt gewesen. Mein Junge, manchmal ist es klüger, seine Vermutungen erst dann auszusprechen, wenn man einen klaren Verdacht und noch mehr Hinweise hat."

Neugierig blickte ich den alten Mann.

" Habt ihr einen Anhaltspunkt, Vater Martwyn?"

" Noch nicht, Cedrys, doch lass uns einmal logisch vorgehen.." meinte mein Lehrmeister und eilte zu einer Truhe, in der, wie ich wusste, Karten der Burg aufbewahrt wurden.

Was wollte er damit? Ich schüttelte den Kopf und nieste wieder. Verärgert sah ich mich um. Das stank ja gerade so, als stände die Medizin direkt neben mir!

Ich täuschte mich nicht. Direkt neben dem Tintenfass befand sich ein kleines Holzkästchen mit aufgeklapptem Deckel. Als ich hineinsah, entdeckte ich kleine, klebrig wirkende Kügelchen. Ich verzog mein Gesicht. Stanken die Dinger so stechend?

Gerade als ich mich dessen versichern wollte, gab mir Vater Martwyn einen leichten Klaps auf die Hand und schüttelte den Kopf.

" Die würde ich lieber nicht anfassen! Den Geruch kannst du dir nämlich nicht so leicht von den Fingern waschsen."

" Warum nicht? Was ist das für ein Zeug?" fragte ich im Gegenzug.

" Wollt Ihr jemanden damit vergiften, Meister?"

Der alte Mann schüttelte amüsiert den Kopf und klappte das Holzkästchen zu.

" Nein, das habe ich bestimmt nicht vor, mein Junge. Die Kräuterpillen sind ein altes Hausrezept meiner Meisterin, gegen die Trägheit des Darmes, die im Alter manchmal plagt. Wenn du als junger Mensch nur eine davon nimmst, brauchst du in den nächsten drei Tagen nicht zu fürchten, dass du dich nicht entleeren kannst. Eher im Gegenteil!" erklärte er mir.

" Der einzige Nachteil ist nur, dass die Kräuter einen noch penetranteren Gestank enthalten als jetzt, wenn sie einmal gänzlich durch den Leib gewandert sind."

Mein Lehrmeister stellte das Kästchen beiseite und entrollte eine stark vergilbte Planzeichnung. Ich erkannte die Grundrisse der Burg sofort wieder. " Die verblassten roten Linien, sind das die Geheimgänge?"

" Richtig Cedrys! Schau einmal, das ist der Gang, der an den Versammlungsraum vorbeiführt.

Und hier geht es hinunter zu den Mauern. Da muss eine Treppe sein. Siehst du die gebrochene Linie?"

" Hm, ja! Der Weg scheint der einzige zu sein, der nach draußen führt", stellte ich fest. Mir kam eine Idee: " Meister, es kann nicht schaden, wenn wir den Weg einfach einmal nachgehen und jeden Winkel untersuchen. Vielleicht finden wir da unten Hinweise auf den Verräter: Fußspuren, Stoffreste, oder etwas was er verloren haben könnte! Dann besäßen wir wenigstens einen ersten Hinweis!"

Ich sah Vater Martwyn erwartungsvoll an. Der klopfte mir auf die Schulter. " Du bist ein kluger Junge, Cedrys, und nimmst mir die Worte aus dem Mund! Dann lass uns Lampen besorgen und gleich nachsehen! Wir sollten keinen weiteren Augenblick verschwenden."

Diese Äußerung überraschte mich. Sonst war mein alter Lehrmeister doch nicht so abenteuerlustig! Was war bloß mit ihm los? Ich schielte zu dem unschuldig wirkenden Holzkästchen, auf dem Tisch. Ob seine Wundermedizin noch mehr belebt hatte als nur seinen Darm?

" Hier ist auch nichts!" murmelte ich enttäuscht und hob die Lampe, nachdem ich einen schattigen Winkel ausgeleuchtet hatte.

Unter meinen Füßen knirschte und knackte es. Generationen von Ungeziefer hatten hier die sterblichen Überreste ihrer Beute und eigenen Leiber hinterlassen. Der Steinboden war so hoch von Unrat bedeckt, dass wir keine Fußspuren ausmachen konnten.

" Igitt!" Ich schüttelte einen Käfer von meinem Ärmel, der über den Stock hoch gekrabbelt war und verzog das Gesicht.

Vorsichtig schob ich mit der Fußspitze den Kadaver einer fetten Ratte beiseite und sprang zurück, als Maden aus dem Bauch quollen. Jetzt bedauerte ich es, auf die Idee gekommen zu sein, sich hier unten umzuschauen.

" Was ist los Junge?" rief Vater Martwyn zu mir hinüber.

Er leuchtete mit seiner Lampe ein Gitter ab. " Komm weiter! Ich denke, wir finden eher in der Nähe des Ausgangs Hinweise."

Mit einem Lächeln fügte er hinzu. " Ich glaube nicht, dass sich unser Verräter lange hier unten aufgehalten haben wird! Solche Menschen haben es meist eilig."

Ich stimmte ihm mit einem Nicken zu und verließ den ungastlichen Winkel auf dem schnellsten Wege. Ein kalter Windschlag schlug mir entgegen. Fröstelnd zog ich meinen kurzen Unhang zu.

Der Ausgang konnte nicht mehr weit sein. Vater Martwyn ging mir voraus. Plötzlich blieb er unter einem Schach stehen und legte den Finger auf die Lippen.

" Hörst du das?" machte er mich auf die Stimmen aufmerksam, die durch den Hohlraum an unser Ohr drangen. Das waren doch Beorn und Hrulf! Meine Brüder stritten sich lautstark darüber, wer denn nun die Schuld an den Überfall trüge.

Sie stellten wie die meisten anderen Ritter schon seit der Unterredung mit meinem Vater die Burg auf den Kopf, und wenn sie nicht bald Erfolg hätten, dann würde der eine meiner Brüder den anderen den Dickkopf einschlagen.

" Vor hier aus kann mal also den Rittersaal belauschen, ohne entdeckt zu werden!" meinte mein Lehrmeister in der Stille.

" Das kann hilfreich sein, um den Feind bei einer Rückeroberung zu belauschen. Der Schacht ist sowie einiges anderes nicht eingezeichnet."

Ich zuckte mit den Schultern und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. " Das mag ja interessant sein, aber haben wir nicht andere Sorgen?"

Als Vater Martwyn nicht reagierte setzte ich meinen Weg, dem Luftzug folgend fort. Ich stellte mir vor, wie es sein würde, den entscheidenden Hinweis auf unseren Verräter zu finden. Mein Vater würde beeindruckt sein und mich sicher von nun an mehr beachten.

Vielleicht würde er auch endlich begreifen, dass Gelehrsamkeit Wege öffnete, auf die Männer wie er nicht kommen würden.

Langsam begann ich zu schätzen, was mir Vater Martwyn beibrachte. Grinsend erinnerte ich mich an Hrufls Rüstung mit dem kleinen aber folgenschweren Fehler, die nun in der Waffenkammer verroste.

Wenn meine Brüder jetzt wieder versagten, dann würde ich..

Ein schwacher Lichtschimmer schreckte mich aus meinen Gedanken. Misstrauisch blieb ich stehen und hielt die Luft.

Waren wir noch allein? Ich lauschte. Nichts war zu hören- und auch der Lichtschimmer bewegte sich nicht mehr. Ich legte die Hand auf meinen Dolch und nahm allen Mut zusammen, um vorsichtig um den Vorsprung zu lugen. Mein Herz schlug bis zum Hals. In den alten Legenden hatte hinter solchen Ecken immer der Feind gelauert. Aber hier erwartete mich nur eine große.. und.. sollte ich sagen .. unangenehme Überraschung.

Der Luftzug, den wir schon die ganze Zeit gespürt hatten, kam durch eine vergitterte Öffnung in der Außenmauer.

Anhand der Baumwipfel, die ich durch die Gitterstäbe sehen konnte, erkannte ich, dass wir uns auf der Nordseite der Burg befanden. Der Gang machte daneben einen weiteren Knick und verlor sich in der Dunkelheit, aber..

Der Gestank war unerträglich! Ich nieste heftig und verzog angewidert das Gesicht. Zaghaft trat ich näher und leuchtete die Öffnung. Sicherheitshalter hielt die Luft an.

Glücklicherweise war ein Großteil der Exkremente durch die rechteckig ummauerten Schächte in den Boden gefallen. Leider jedoch nicht alles, wie mir die bräunlichen Spuren ab Boden verrieten. Ich konnte kleine Gegenstände zwischen den erdigen Haufen erkennen.. aber bei dem Gott des Bundes, mich würde niemand dazu kriegen, die auch noch zu untersuchen. Welcher Idiot baute denn einen Abtritt innerhalb der Mauern?

" Hatschi!" Wieder musste ich niesen. Als ich noch weiter zurückwich, stolperte ich gegen Vater Martwyn.

Mein Lehrmeister fing mich ab. Begeistert sah er nach vorne, so als würde der Anblick in ihm keinen Ekel hervorrufen. Ich schauerte. Ob es für einen Gelehrten auch dazu gehörte, sich an Orte zu wagen, an die kein anderer Mensch seinen Fuß setzte?

" Ich habe mich schon immer gefragt, warum die Mauern der Burg an dieser Seite so ausgebeult waren!" meinte Vater Martwyn

." Jetzt weiß ich es! Der Baumeister hat sich mit dem Geheimgang verschätzt und musste fatalerweise den Abtritt mit einbeziehen."

Er deutete auf die Löcher im Boden.

" Schau, der Mann hat seinen Fehler zu korrigieren versucht. Aber im Plan ist das nicht angegeben! Mich wundert nicht, dass er das Versehen verschleiern wollte."

" Das mag sein, aber Ekel erregend ist das Ganze trotzdem!" meine ich. " Wer immer nach draußen will, der muss da drunter durch."

Scherzhaft fügte ich hinzu: " Und wenn dann gerade zufällig einer da oben sitzt, um sich zu erleichtern, kriegt dieser jemand alles auf den Kopf!"

Ich lachte bei der Vorstellung eines besudelten Spions. Da wäre zu schön, um wahr zu sein. Plötzlich zuckte ich zusammen, trat noch einmal ein paar Schritte vor und nahm eine Nase voll des betörenden Duftes.

Das konnte doch nicht wahr sein! Ich kannte diesen Geruch- und er war noch viel stechender und beißender geworden. Wie konnte eine Kräutermischung nur so widerlich riechen?

Ich drehte mich zu meinem alten Lehrmeister um.

Der verstand meinen fragenden Blick und lächelte versonnen.

" Vor gut einer Woche ergriff mich, nachdem ich meine Medizin genommen hatte, in der Bibliothek ein solches Bauchgrimmen, dass ich nicht zu dem Abort bei meinen Gemächern gelangen konnte, sondern- ich gestehe es zu meiner Schande- den der edlen Herren und Damen benutzen musste. Während ich meine Notdurft verrichtete, hörte ich plötzlich ein schreckliches Fluchen unter mir. Das jagte mir einen Riesenschrecken in die Glieder, und ich machte, dass ich so schnell wie möglich davonkam - denn ich hätte ja einer Dame und ihrem Galan in die Arme laufen können."

Ich trat an seine Seite.

" Meister, Ihr habt den Verräter im wahrsten Sinne des Wortes mit einem unverkennbaren Duft markiert!" meinte ich dann triumphierend.

Jetzt fügten sich alle Teile des Mosaiks zueinander. Ich war mir ganz sicher, den Übeltäter erkannt zu haben!

" Ich kenne den Gestank- und nicht nur von den Kügelchen in dem Kästchen!"

" Wie meinst du das?" fragte Vater Martwyn verwirrt. " Mein Junge ist mir den etwas entgangen, was du mit deinen scharfen Augen erkannt hast?"

" Mit meinen Augen nicht- meine Nase hat es mir verraten! Ich weiß, wer unser Verräter ist!

Der hat die ganze Zeit während der Unterredung neben mir gestanden!" meinte ich mit einem breiten Grinsen.

" Teryad stinkt zwar sonst auch immer zum Himmel, aber vorhin war es unerträglich. Und auch ihn hat das ziemlich gejuckt, falls Ihr Euch an sein penetrantes Kratzen erinnert", fügte ich hinzu.

" Jetzt muss uns nur noch einfallen, wie wir ihn zu einem Geständnis bringen."

" Da wird uns auch schon etwas einfallen!" Vater Martwyn legte mir seinen Arm um die Schultern.

" Komm, lass uns diesen ungastlichen Ort verlassen und bei einem ordentlichen Mahl darüber nachdenken."

Ich lachte. " Heute gibt es Lamm mit Knoblauch und Zwiebeln. Da wird man uns viele Schritte gegen den Wind riechen können."

Ich lachte " Heute gibt es Lamm mit Knoblauch und Zwiebeln. Da wird man uns viele Schritte gegen den Wind riechen können."

" Wir haben ja auch nichts zu verbergen!" ging Vater Martwyn auf meinen Scherz ein und fügte hinzu." Es geht doch nichts über eine gute Nase.. und die Dürfte, die selbst dann erhalten bleiben, wenn sie durch unseren Leib wandern!"

Ende

c. by Christel Scheja 4.98

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